Das Neueste von Gestern

Geschichten aus Berlin und der Welt von Gestern

Ein Plädoyer für die Tempelhofer Freiheit

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Im Mai 2010 wurde das Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof für die Menschen freigegeben, nachdem es lange schien, als würde man diese zweibeinigen Wesen, denen grundsätzlich zu misstrauen ist (Drogenhandel und Vandalismus, vielleicht sogar Kinderlärm drohten!) lieber von dieser riesigen und damit nur schwer zu überwachenden Fläche fernhalten. Immer noch umgibt ein Zaun das Gelände, das nun den Namen Tempelhofer Park trägt, doch immerhin bekommt nun jedermensch Zutritt. Zumindest solange es hell ist und das Risiko massenhafter Übertretungen der Parkordnung noch kalkulierbar. Trotz Umzäunung und Öffnungszeiten ist dieses Stück freie Landschaft inmitten der Stadt schon kaum mehr wegzudenken, so einzigartig ist der freie Horizont für Berlin, so intensiv und vielfältig wird die Fläche bereits tagtäglich genutzt. Und doch gibt es bereits Pläne zur Bebauung. Zumindest die Randgebiete sollen bald für Gewerbe und Wohnungen erschlossen werden, vielleicht entsteht auch eine neue Landesbibliothek auf dem Gelände und spätestens die Internationale Gartenschau 2017 und die Internationale Bauausstellung 2020 werden das Gesicht des Tempelhofer Feldes nachhaltig verändern. (Über die aktuellen Entwicklungen hält folgende Seite auf dem Laufenden: www.tempelhofer-park.de/) Aktuell wird sogar über die Einrichtung einer Buslinie durch das Tempelhofer Feld diskutiert, wie u.a. die TAZ heute berichtet. Aus diesem Anlass möchte ich ein Plädoyer für einen Volkspark Tempelhofer Feld im Naturzustand veröffentlichen – ein Plädoyer aus dem Jahr 1924:

Volkspark Tempelhofer Feld.

Es war just kein wonnesames Frühlingsweben, als wir gestern mittag zu dem neuen Volkspark hinausfuhren, der auf dem Gelände der alten Schießstände auf dem Tempelhofer Feld entstanden ist. (…)

Aber in uns war Sonnenschein, ging ein heller Klang von fröhlicher Auferstehung und neuem Werden. Wir fahren durch den weißgrauen Schleier eines launischen Apriltages hindurch in eine frühlingsfrohe, von Jugendluft und Lebensfreude durchwehte Zukunftswelt. In ein Zukunftsbild, das nicht in nebelhafter Ferne lag, sondern schon vor uns erstand. Und wir konnten die stille, innere Freude des Mannes an unserer Seite begreifen und teilen, der jahrelang einen harten Kampf gegen starre Hindernisse durchgefochten hatte, um nun endlich die Früchte seiner zähen Arbeitsenergie reifen zu sehen. Drei Jahre hindurch hat Herr Stadtrat Schneider, der Dezernent des Neuköllner Jugendamtes, gegen den schier unüberwindlichen Wall militärischen Eigennutzes und Eigensinns und bürokratischer Gedankenverknöcherung kämpfen müssen, bevor es ihm gelang, den Rechten der Jugend und des arbeitenden Menschen eine Bresche zu schlagen. Nun ist der Stacheldraht der Paragraphen und Aktenbündel niedergelegt, und frei das Feld! Ein blinkend neuer natürlicher Stacheldraht reckt sich rings um das etwa 400000 Quadratmeter große Gelände und wehrt jedem Unberufenen den Zutritt zu dem neuen Gefilde der Jugend, zu dem Volkspark.

Volkspark? Bei dem Worte Park denkt man an schöne, geebnete, sorgfältig, geschnittene, sorgsam gehegte Wege, Beete und Sträucher. So darf man sich den Volkspark Tempelhofer Feld nicht vorstellen. Der urwüchsige, wechselvolle Baumbestand des alten Geländes mit seinem welligen Rasenboden bleibt unberührt, echter, unverminderte Waldduft soll den Erholungssuchenden empfangen, wie er uns gestern, rein und würzig, die Lungen erquickte, als wir zwischen den Kiefern, Birken und Akazien dahinschritten. Keine Baum- und Raumkunst – Natur, Natur!

Unsere Neuköllner Jugendlichen und ach so vielen Luft- und Lichtbedürftigen sollen nicht erst weite Strecken im Dunst und Dämmer der Bahn zurücklegen müssen, um auf beschwerlicher und bedrückender Rückfahrt gleich das wieder einzubüßen, was sie in kargen Stunden suchten und fanden. In unmittelbarer Nähe soll ihnen Gelegenheit zum Ausruhen, zur Stärkung der Nerven, zur Kräftigung ihres Körpers geboten werden. Die Neuköllner Einwohner, die Insassen der Stadt der Arbeit, sind zumeist nur reich an Mühen und Sorgen, sie können sich keine Bäderreisen und dergleichen mehr leisten, sie sind darauf angewiesen, auf billigste Art die jedem arbeitenden Menschen unbedingt nötige Erholung zu suchen.

(…) der Park ist, obwohl noch an seiner Vollendung gearbeitet wird, bereits freigegeben. Alt und jung kann sich nach Herzenslust tummeln (…) Auch eine ausgedehnte Spielwiese im Umfange von 30000 Quadratmeter ist vorhanden, die sich im Winter zur größten und schönsten Eisbahn Berlins verwandeln dürfte. Zum echten Wintersport gehört selbstverständlich auch eine Rodelbahn, an der bereits gebaut wird. Sie soll eine Länge von 330 Meter haben, man hat dann also nicht mehr nötig, in der Vorstellung seiner Gedankenwelt im Riesengebirge oder im Harz zu rodeln, sondern kann das Vergnügen in verwirklichter Gestalt dicht vor den Toren haben. Auch Tennisplätze sind vorgesehen, ebenso eine 150 Meter lange und etwa 20 Meter tiefe Freilichtbühne für Reigenaufführungen, Tänze und turnerische Darbietungen. Natürlich ist auch für des Leibes Notdurf und Nahrung gesorgt, in einer kleinen Waldschänke werden Getränke und kleine Imbisse verabfolgt. (…)

M.D.

Der Artikel erschien am 23. April 1924 in der Neuköllnischen Zeitung. Auch wenn ich nicht jede Meinung des Verfassers teile, zeigt der Artikel doch eins – die Tradition des Tempelhofer Feldes als ungekünstelte Parklandschaft ist alt und erhaltenswert. Der alte Volkspark Tempelhofer Feld bestand übrigens nur von 1921 bis 1927. Hoffentlich hat der neue Park eine längere Zukunft!

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Januar 26, 2012 at 12:35 pm

Ich war`s nicht, Adolf Hitler ist es gewesen!

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Anlässlich des 70. Jahrestages der Wannsee-Konferenz eine Karikatur, die ein Jahr nach dem Ende der NS-Herrschaft entstanden ist. Zu einem Zeitpunkt also, an dem bereits niemand mehr mitgemacht haben wollte und man sowieso nichts mehr wusste…
Die Abbildung ist dem Büchlein „Heiterkeit der Aufbauzeit“ entnommen, 1946 im Aufbau-Verlag erschienen. Alle darin enthaltenen Karikaturen stammen von Erwin Kutz. Dieser, laut dem Spiegel, der „Hennecke unter den Nachkriegszeichnern“, arbeitete zunächst für verschiedene Ostblätter, bis er sich mit dem Chefredakteur der Satirezeitung „Frischer Wind“ (dem Vorgänger des Eulenspiegels) überwarf und zur Westberliner „Tarantel“ wechselte.

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Januar 20, 2012 at 9:22 pm

Vergessene Medizin: Köstritzer Schwarzbier

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In zahlreichen Internetforen wird die Heilwirkung von Bier diskutiert und im Altertum soll Bier sowieso vor allem zu Heilzwecken gebraut worden sein. Die Nubier haben vor 1600 Jahren sogar ein Bier getrunken, dass Tetracyclin enthielt, also ein Antibiotikum. (FR vom 25.10.10) Doch dass die moderne Brauereiindustrie ihre Produkte mal wie Medizin angeworben hat, war mir unbekannt, bis ich in zwei Ausgaben der kommunistischen Tageszeitung „Arbeiterpolitik“ aus dem Jahr 1930 auf folgende Werbeanzeigen gestossen bin:

Als ob Sie Blei an den Füßen hätten?

Sie bringen sie kaum noch fort? Das macht nicht allein das Frühjahr! Ein Signal ist es, daß sie überanstrengt sind, ihre Kräfte zur Neige gehen! Berufliche Tätigkeit zehren sie auf, wenn nicht rechtzeitig für Erneuerung gesorgt wird. Sie müssen dringend etwas für sich tun! Auch wenn Ihnen nur wenig Geld zur Verfügung stehen sollte. Nur nicht krank werden! – Sie bekommen mehr Blut, die Müdigkeit schwindet, die Verdauung macht Ihnen keine Beschwerden, Ihre Nerven werden gekräftigt, wenn Sie jeden Tag 1 Flasche „Köstritzer Schwarzbier“ trinken. Sie werden ein ganz anderer Mensch! Sie fangen doch heute noch an! Erhältlich in den Bierhandlungen und Lebensmittelgeschäften. (1)

und

Nicht wahr, es hat Sie doch recht mitgenommen,

das Wochenbett mit allem Drum und Dran! Es wird Zeit, daß Sie wieder Farbe bekommen, wieder frisch, elastisch, leistungsfähig werden. Blut tut not! Die Nerven müssen wieder gekräftigt werden. Auch die Verdauung muß in Ordnung kommen. Deshalb sollten Sie gleich damit anfangen „Köstritzer Schwarzbier“ zu trinken! Das sagt auch der Arzt. Es schafft so viel Gutes und kostet so wenig! Erhältlich in den Bierhandlungen und Lebensmittelgeschäften. (2)

Die Köstritzer Schwarzbierbrauerei hat aber auch mit Werbetafeln für ihre „Medizin“ geworben, wie dieses Foto beweist. Na dann. Wohl bekomm`s!

(1) Arbeiterpolitik. Tageszeitung der Kommunistischen Opposition Deutschlands – Ausgabe A, 25.4.1930.

(2) Arbeiterpolitik. Tageszeitung der Kommunistischen Opposition Deutschlands – Ausgabe A, 3.5.1930.

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Januar 6, 2011 at 6:45 pm

Apple killed the sony star. Der Walkman war gestern.

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Wie sich die Zeiten ändern! Gut 30 Jahre nach der Einführung des ersten Kassetten-Walkman TPS-L2 am 1. Juli 1979,  stellt Sony die Produktion seines damals revolutionären Produkts ein. Selbst der Nachfolger des Walkmans, der Discman ist schon längst von MP3-man bzw. von Apples ipod abgelöst worden und so verwundert es auch nicht weiter, dass man die Meldung zum Ende des Walkmans auch als mp3 herunterladen kann. So kommt man auch in das (zweifelhafte) Vergnügen zu erfahren, was ein automatisches Vorlesesystem mit einem „walkman“ anfangen kann.

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Oktober 24, 2010 at 12:42 pm

Veröffentlicht in Alltag, Technik

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Das Neueste von Gestern – als Zeitungsabo

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Das Neueste von Gestern gibt es jetzt nicht nur sehr unregelmäßig in diesem Blog, sondern auch jeden Tag pünktlich um 17 Uhr – frisch im (e-)Postkasten. Denn die Universität Würzburg bzw. deren Lehrstuhl für neuere deutsche Literatur- und Ideengeschichte verschickt bereits seit dem 1. Oktober anlässlich des 200jährigen Jubiläums jeden Tag an Interessenten die „Berliner Abendblätter“. Diese „erste“ Tageszeitung Deutschlands erschien zwar nur exakt sechs Monate, sollte aber  „für die Literatur des gesamten 19. Jahrhunderts von eminenter Bedeutung sein“, „insofern mit ihm Tagesjournalismus und literarische Produktion eine neue, bis dahin unbekannte Verbindung eingehen“. Das zumindest meinen Roland Borgars und Fotis Jannidis, die für das Jubiläumsprojekt zuständig sind. Für das neuerliche Interesse an den „Berliner Abendblätter“ ist aber vor allem deren Macher verantwortlich – es handelt sich um einen gewissen Heinrich von Kleist.

Ich bin jedenfalls schon auf meine erste Ausgabe morgen gespannt (Sonntags erschienen und erscheinen die „Berliner Abendblätter“ nicht). Wer sich auch für das Neueste des Herbstes 1810 interessiert, kann die Zeitung unter folgender Adresse abonnieren: https://lists.uni-wuerzburg.de/mailman/listinfo/berliner.abendblaetter

Mehr Infos zu dem Projekt gibt es entweder auf der Institutsseite, bei der TAZ oder bei dem Recherchenblog.

Written by yesterdaywasfuture

Oktober 24, 2010 at 12:12 pm

Der Skandal von der Edelweiss-Kaserne: Man hätte es wissen können

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„Ekel-Mutproben und bizzare Rituale in der Edelweiss-Kaserne“, schreibt die Bild und auch die anderen Medien zeigen sich pikiert und überrascht über die Vorgänge bei den „Gebirgsjägern“. Doch man hätte es wissen können. Bereits 1931 schrieb Christine Fournier über seltsame Aufnahmerituale für all diejenigen, die sich den Edelweiss-Trägern anschließen wollten:

Es „werden dem Lehrling interessantere Aufgaben gestellt, wie zum Beispiel: coram publico, in einem bestimmten Zeitraum einen Koitus zu vollenden, während der Cliquenbulle, mit der Stoppuhr in der Hand, Kontrolle übt. Oder, ebenfalls vor versammeltem Publikum, Masturbations- oder onanistische Handlungen auszuführen, kurz sich auf mannigfaltige Weise exhibitonistisch auszuleben. Sehr häufig werden die Lehrlinge nackt ausgezogen, gefesselt und mit Kot und Urin beschmiert. Zu schweigen vom Cliquentauffraß, den die Lehrlinge einnehmen müssen. Dies sind keine Märchen sondern Tatsachen; ich selbst habe Photos solcher Taufszenen gesehen. Jene Triebentfaltung der ersten Kindheit, die beim sogenannten normalen Jugendlichen längst in Vergessenheit begraben, in andre Formen der Erotik umgesetzt ist, hier, bei den Verwahrlosten, lebt sie infolge ihrer psychischen Defekte wieder auf, das Unbewußte wird Realität.“ (1)

So schreibt Christine Fournier über jene „Wilde Cliquen“, deren Erkennungszeichen das Edelweiss war und die die  Vorgänger der späteren „Edelweisspiraten“ waren. Nun muss man aber dazu sagen, dass es bei der von Fournier dargebrachten Geschichte größtenteils um eine Legende handelt, zumal der ganze dazugehörige Artikel eine Skandalaufmachung hat. 99% der ca. 600 damals in Berlin existenten Wilden Cliquen kannten überhaupt keine Aufnahmerituale oder eher harmlose Mutproben und Taufrituale, die z.B. darin bestanden, dass der Neuling in kompletter Kleidung in den See geworfen wurde oder sich mit dem Stärksten der Gruppe einen Boxkampf liefern musste. Aber vielleicht haben sich ja die Gebirgsjäger der Edelweißkaserne diese Legende zum Vorbild genommen…

Vielleicht haben sie ihre Aufnahmerituale aber auch einfach bei Hells-Angels und Konsorten abgekupfert. Die haben zumindestens in den 60ern und 70ern ebenfalls derartige Taufrituale gekannt. Nett z.B. das 1966 durchgeführte Aufnahmeritual einer amerikanischen Hells Angels – Gruppe:

„Jeder Anwärter trägt bei seiner Initiation eine neue Levisjeans und eine passende Jacke, an der die Ärmel abgeschnitten sind und auf deren Rückseite das Emblem ohne den Schriftzug angebracht ist. Die Aufnahmezeremonie ist von Chapter zu Chapter unterschiedlich, wobei die Hauptsache immer in der Verunreinigung der Uniform des Initianten besteht. Während der Veranstaltung wird ein Kübel mit Kot und Urin gefüllt. Dieser wird dem Anwärter in einer feierlichen Zeremonie über den Kopf geschüttet. Oder dem Betreffenden werden die Kleider ausgezogen, die von den anderen in den Schlamm gewühlt werden. Er selbst steht nackt da, während der Kübel über ihm ausgegossen wird.“ (2)

Harte Jungs und Männer scheinen eben auf so Zeug zu stehen.

(1) Christine Fournier, Ringvereine der Jugend, in: Die Weltbühne, 27.Jg., 1931, S.93.

(2) Titus Simon, Raufhändel und Randale. Sozialgeschichte aggressiver Jugendkulturen und pädagogischer Bemühungen vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Weinheim/München 1996, S.165ff.

Kuchen-Kaiser und der PR-Journalismus

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Die Berichterstattung über das neueste Produkt des Hauses Apple, den iPad, ist ein gutes Beispiel dafür wie heutzutage Werbung und „Journalismus“ immer mehr verschwimmen.  Zunehmend finden PR-Texte und -Fotos ungefiltert den Weg in den „journalistischen“ Teil der Medien. Der freiberufliche Autor Hans Wille spricht in einem ca. 2 Jahre alten Beitrag zum PR-Journalismus (PR-Journalismus – der dritte Weg?) davon, dass heute rund 70 Prozent unserer Nachrichteninhalte von PR-Stellen initiiert werden. Doch der PR-Journalismus ist natürlich keine Erfindung unserer Zeit – deswegen ist er ja auch Thema dieses Blogs. Auf den Tag genau vor 79 Jahre machte die Neuköllnische Zeitung unkritisch einen anderen Hype mit – den Hype um den „Kuchen-Kaiser“:

„Kuchen-Kaiser“

am Oranienplatz in Berlin hat nach vollendeten Umbau heute seine sämtlichen Räume wieder in Betrieb genommen. Der gegenwärtige Besitzer Eugen Fluß übernahm die seit 1. April 1866 bestehende Firma am 1. Juli 1891 und führte an dieser

Stätte Altberliner Gemütlichkeit,

die seiner Zeit auch oft vom ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert besucht wurde, das damals in Berlin noch unbekannte Wiener Teegebäck und die so beliebt gewordene Eisbombe ein. Während es durch die Umgestaltung des Oranienplatzes verursachten Umbaues wurde der Betrieb, wenn auch in eingeschränktem Maße doch aufrecht erhalten. Mit imposanter Front reiht sich das Haus der Firma „Kuchen-Kaiser“ würdig in den Rahmen des Oranienplatzes ein. Für den Verkauf sind

helle, freundlich gehaltene Räume

geschaffen worden. Ein 25 Meter langer Ladentisch legt Zeugnis ab von der Riesenauswahl hochwertiger Konditoreifabrikate. In einer Spezial-Abteilung für den Verkauf von Konfekt findet man die Fabrikate allererster Firmen in Originalverpackungen und zu Originalpreisen. Alles, was die „süße Kunst“ hervorbringt, kann in diesen großen Räumen erstanden werden; man wird jedem Geschmack gerecht. Unter den Verkaufs- und Gasträumen beider Grundstücke befinden sich die gesamten Back- und Fabrikations-Anlagen. Durch reichliche Verwendung von Oberlicht sind praktische, helle und zweckmäßige Arbeitsräume geschaffen worden, unter Beobachtung der modernen Hygiene. Die Gasträume halten die alte Tradition der Gemütlichkeit aufrecht: Die Wände sind mit handgewebten Stoffen bespannt. Als innenarchitektonische Neuheit ist zum ersten Male eine geschickte Kombination von ganz modernen Gaderobenhaken und in zwei Richtungen beweglichen Wandarmen mit daran befindlichen Beleuchtungskörpern für die einzelnen Tische verwandt worden. Ein holzgetäfelte Raum, der im Bedarfsfalle durch eine neuartige „Teleskoptür“ aus Birkenholz vollständig von den anderen Gasträumen getrennt werden kann, eignet sich besonders als

Konferenz- und Sitzungszimmer

für kleinere Gesellschaften und Vereine. Im ersten Stockwerk des Hintergebäudes liegen die Büroräume: Die Telephonzentrale sowie die Bestellungsannahme mit eigenem Haus-Automaten modernsten Systems. Direkt von der Bestellungsannahme gelangen die eingehenden Bestellungen mittels elektrisch betriebener Bandpost in die im Erdgeschoß gelegene Expedition. Ein elektrisch betriebener Fahrstuhl bringt die fertigen Waren nach der Expedition und Versand. „Kuchen-Kaiser“ im neuen Gewande wird der alten Tradition getreu, stets eine Kulturstätte des guten Geschmacks und ein Treffpunkt des alten Berlins bleiben.

Aus der Neuköllnischen Zeitung vom 31.1.1931.

Über die Geschichte des Kuchen-Kaisers kann man auch auf dessen Blog einiges erfahren, wo es auch einen Link zu einer Diashow mit Fotos vom historischen Oranienplatz gibt. Unter dem Platz schlummert übrigens immer noch eine 1927 errichtete U-Bahnstation, wie dieser wikipedia-Eintrag zu berichten weiß.

Oranienplatz um die Jahrhundertwende

Oranienplatz, 1925

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Januar 31, 2010 at 7:23 pm

Das Neueste von Gestern – Anmerkungen (1)

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Gerade habe ich den Artikel „Die ersten Kondom-Automaten in Berlin“ stark erweitert. Wer sich also für das Thema interessiert, sollte den obigen Link benutzen.

Written by yesterdaywasfuture

Januar 25, 2010 at 4:33 pm

Neuköllner erfindet Übersetzungsmaschine

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Am 22.1 beschäftigte sich Barbara Kerneck in der Taz mit maschinellen Übersetzungshilfen und ging dabei auch der Frage nach, ob Maschinen jemals menschliche Profi-Übersetzer ersetzen können. Letztendlich sieht es danach jedoch nicht aus – „Eine Maschine versteht keine Ironie.“ Ein Glück für alle Dolmetscher und Übersetzer. Andererseits aber auch schade, denn die „Übersetzungsmaschine“, der Babelfisch bzw. der „Sprachübertragungs-Apparat“ ist wohl ein uralter, seit dem Turmfall von Babel, gesponnener Menschheitstraum. Und seine Vollendung scheint einem, bei all dem technischen Fortschritt, doch manchmal auch zum Greifen nahe. Und so testete bereits 1932 die Neuköllnische Zeitung  den Zukunftsglauben seiner Leser mit einem Artikel über eine neue, sensationelle Erfindung, die sie allerdings am nächsten Tag als Aprilscherz outete.

Aus der Neuköllnischen Zeitung vom 31.3.1932:

Der Sprachübertragungs-Apparat erfunden!

Nach jahrelangen Versuchen hat ein bekannter Neuköllner Erfinder in aller Stille einen Sprachtransformierungsapparat fertiggestellt, von dem wir heute unsern Lesern das erste Bild geben können: Ein Freund des Erfinders (…) spricht in das vor ihm stehende Mikrophon. Die im Hintergrund sichtbare Apparatur wandelt nun durch einige Kathodenröhren die Sprachwellen um. Wollte man sich in diesem Stadium der Sprachumbildung einschalten, so würde man eine völlig unbekannte Sprache vernehmen, da diese Transformierung für sämtliche Sprachen der Erde gemeinsam ist. Erst die auf dem Tisch stehenden kleinen Sprachübersetzer sieben aus dem Wellengemisch die richtigen Laute aus und geben den in das Mikrophon gesprochenen deutschen Text in einer ausländischen Sprache wieder. Der Erfinder hat bisher, wie man auch aus unserm Bilde sieht, Sprachübersetzer für (von links) englisch, französisch und spanisch konstruiert, die hier zum ersten Male ausprobiert werden. In Arbeit sind die lateinische und griechische Sprache, womit dann das gefürchtete Extemporale seine Schrecken verlieren würde: denn auch ein diesbezüglicher Tachenapparat, in den der Schüler nur hineinzuflüstern braucht, soll in Vorbereitung sein.

(Leider habe ich keine Kopie des zum Artikel dazugehörenden Bildes, also wenn ihr mal in einem Archiv mit der Neuköllnischen Zeitung seid, schaut euch das mal an!)

Written by yesterdaywasfuture

Januar 24, 2010 at 8:32 pm

Die Lehren aus der Schweinegrippe

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Nachdem der Hype um die Schweinegrippe die Welt monatelang im Griff hatte, verkündete die WHO vor zwei Tagen den endgültigen Rückzug des H1N1-Virus. Und im Nachhinein kann man (wie es viele ja schon erwartete hatten) sagen: Viel Lärm um nichts. Vielleicht sollte man bei der nächsten apokalyptischen Grippewelle daher vielleicht wieder auf traditionelle Grippebekämpfungsmaßnahmen zurückgreifen, statt milliardenschwere Pharamindustriekonjunkturprogramme aufzulegen. Wir wäre es z.B. mit dieser Methode aus dem Jahre 1930:

Written by yesterdaywasfuture

Januar 24, 2010 at 8:01 pm